Die Expedition Tramdepot

Schon während meines Studiums und jetzt wieder auf dem Heimweg von der Arbeit fahre ich jeden Abend mit dem Fahrrad an der Schwabstraße im Frankfurter Stadtteil Eckenheim vorbei. Es ist ein interessanter Ort in der Stadt: Hier überziehen Gleise die Straße, auf denen auf den ersten Blick nie ein Zug unterwegs ist – vom Dornbusch her kommend über den Marbachweg bis zur Eckenheimer Landstraße und von dort weiter zur Schwabstraße. Gewundert habe ich mich einige Male, bin den Gleisen wohl aus Bequemlichkeit und dem Wunsch heraus, schnell zu Hause zu sein jedoch nie gefolgt. Das blieb für einige Monate so, bis ich zu einem Spaziergang aufbrach, um eine geeignete Stelle in der Nähe zu suchen, von der aus ich die Skyline fotografieren konnte. Gefunden habe ich diese Stelle bis heute nicht und habe allen Anlass, an ihrer Existenz zu zweifeln, dafür bog ich zum ersten Mal den Schienen folgend, in die Schwabstraße ein und habe dort das Eckenheimer Straßenbahndepot entdeckt, das sich in der Folge zum Ziel vieler meiner Spaziergänge entwickeln sollte.

Da das Depot nur noch sporadisch genutzt wird, erlaubte es mir der Umstand dort selten Menschen anzutreffen, meiner Neugier nachzugeben und Sonntagnachts einige Male einen Blick in die Wagenhallen zu werfen, die zum größten Teil leer standen. Ich vermutete um diese Zeit den geringsten Betrieb und sollte Recht behalten. Es sind nur wenige neue Züge abgestellt, zumeist sind es alte Wagen, teilweise sogar Museumsstücke aus der Zeit der Frankfurter Lokalbahn. Den wichtigsten Bestand machen sicherlich die P-Wagen aus, die alten hohen Züge mit der eingedrückten Frontscheibe – modifizierte Trambahnen – die auf der U5 verkehrten, als deren Gleise zwischen der Musterschule und dem Marbachweg noch betriebstechnisch als Straßenbahn geführt waren. Auch heute noch, so habe ich mir von einem U-Bahnfahrer erklären lassen, ist aufgrund dieses kurzen Teilstücks für das Befahren der Linie eine Zusatzausbildung notwendig.

Der Ort wirkt, wenn ich ihn gegen Mitternacht besuche, immer ein wenig surreal und aus der Zeit gefallen, vor allem aber vergessen. Die vor Lebensgefahr warnenden Schilder bleiben unrespektiert, da nie ein Zug fährt. Der neue Fahrkartenautomat der Haltestelle Schwabstraße, leise brummend und sein fahles Licht auf den Gehsteig werfend, bleibt ungenutzt, da die Haltestelle im aktuellen Fahrplan nicht auftaucht. Das Vorfeld des Betriebshofes ist zugeparkt mit Autos, die die Durchfahrt verhindern und die Züge stehen unbeachtet und neonbeleuchtet in den riesigen Hallen – ihr weiteres Schicksal ungewiss.

In diesem Jahr allerdings habe ich eine Veränderung festgestellt: Häufiger konnte ich auf dem Heimweg beobachten, wie unbesetzte Straßenbahnzüge geisterhaft auf der U5 die Eckenheimer Landstraße hinauffuhren, die große Kreuzung am Marbachweg überquerten, um kurz danach in die Schwabstraße einzubiegen. Zunächst hielt ich das für nichts weiter auffälliges, werden doch häufiger alte Züge für Fahrschulzwecke genutzt, die Häufung dieser Ereignisse machte mich aber irgendwann stutzig.

Dazu muss gesagt sein, dass das nächtliche Erkunden von Straßenbahndepots insofern eine gewisse Tradition bei mir hat, als dass ich auch schon dem Betriebshof im Gutleutviertel einen Besuch abgestattet habe. Es handelte sich um eine Nachtobservation im Rahmen meiner Abschlussarbeit des Studiums – eine Kommilitonin und ich haben Lärmbeobachtungen durchgeführt und wurden vom Betriebsleiter der Anlage über das Gelände geführt. Hier herrschte auch nachts eine ganz andere Geschäftigkeit, als ich es aus Eckenheim kannte. Im Viertelstundentakt rollen die Züge herein, es wird kurz geplaudert, die Weichen gestellt und die Wagen nach und nach in ihre Hallen sortiert. All das geschieht per Hand und nach Augenmaß

Sie geben diesem Ort etwas von seinem Zauber zurück und ich hoffe, sie noch häufig fahren sehen zu können – die Geisterzüge von Eckenheim.

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